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Wo genau liegen die Unterschiede vom Schweizer Cheerleading zu den amerikanischen Allstars? Was macht diese Teams so gut? Um das herauszufinden, bin ich nach Florida gereist.
Wieso ich nicht gepostet habe
Ich hatte viele Pläne hier in den USA, aber wie wir alle wissen sind dem Leben unsere Pläne meist herzlich egal. Ich wollte ein paar Videos aufnehmen, aber mich haben zuerst mein Laptop und dann meine Speicherkarte im Stich gelassen. Ich konnte auch nicht so viel filmen, wie ich gedacht hatte.
Einen guten Post zu schreiben, zu übersetzen und hochzuladen dauert um die 5-10 Stunden. Da dies meine einzigen Ferien in diesem Jahr sind wollte ich auch mal ein wenig entspannen und die Zeit geniessen, bevor ich wieder zu meiner wöchentlichen Routine zurückkehre. Schliesslich ist dieser Blog mein Hobby und ich schreibe ihn, weil es mir Freude macht, und das soll auch so bleiben. Ich werde wieder regelmässig posten, sobald ich im September zurück in der Schweiz bin. Hier also mein erster Post von der anderen Seite des Atlantiks!
Meine ersten Tage in den USA
Nachdem ich einige Tage mit ein paar Cheers von den Warriors Diamonds in Orlando verbracht habe, machte ich mich auf zu meinem grossen Abenteuer: Miami, Florida.
Top Gun Cheer and Dance Company
Ja, das Top Gun. Schon seit ich 13 Jahre alt war (als Kamerahandys und Youtube populär wurden und ich zum ersten mal Allstars gesehen habe) wollte ich das Amerikanische Cheerleading live erleben. Top Gun war meine Traumwahl. Mit ihren innovativen Routines und dem Mut, Neues auszuprobieren, verkörpern sie für mich den Kern des Sports. Also habe ich sie kontaktiert! Ich bekam die Chance, sie für einen ganzen Monat zu begleiten und den Coaches im Training über die Schultern zu schauen.
Mein erster Tag
Als ich ganz alleine in Miami ankam war ich recht verloren. Ich bin noch nie alleine gereist und war auch noch nie ausserhalb von Europa. Ich fühlte mich recht einsam und ein bisschen überfordert mit der ganzen Situation. Was hatte ich mir dabei nur gedacht? War das Ganze vielleicht ein Fehler? Es brauchte nur 5 Minuten bei Top Gun, und diese Fragen lösten sich in Luft auf.
Die junge Frau, die für die ganze Administration zuständig ist und mit der ich zuvor Kontakt hatte, empfing mich mit offenen Armen. Sie führte mich im Gym herum (das sie übrigens als klein bezeichnet, nur 3 ganze Böden plus Tumblingbereich) und stellte mich ein paar anderen Coaches vor. Als ich erwähnte, dass ich schon etwas nervös sei, gab sie mir eine Karte mit ihrer Handynummer drauf. «Wenn du irgendwelche Fragen hast oder etwas los ist, ruf mich einfach an. Auch wenn du irgendwo fest steckst, ich kann dich abholen, kein Problem.» Ich hätte sie am liebsten auf der Stelle gedrückt.
Die Teams
Nach all den Begrüssungen konnte ich einigen Coaches durch ihre jeweiligen Trainings folgen. Die verschiedensten Teams trainierten an diesem Abend, von Junior 1 bis zu den Sick6. Was mir sofort auffiel war, dass in jedem Team völlig unabhängig vom Level immer fünf oder sechs Mitglieder herausstechen, bei denen man auf Anhieb sieht: In 5-10 Jahren werden sie zu den Besten in der Welt gehören. Ihre Einstellung, der Team Spirit und die Art, wie sie auf ihre Coaches hören, zeigt sofort dass sie weit kommen werden.
Was ich sofort gelernt habe
Es gibt eine Grundlage, die alle Athleten mitbringen müssen, um solche Routines zu schaffen: Gesundheit und körperliche Fitness. In diesem Gym trägt niemand Tape, nur weil die Gelenke für Stunts und Tumbling zu schwach sind. Wenn sie einen Schoner tragen, dann weil sie sich gerade von einer Verletzung erholen.
In jedem Team zuhause gibt es doch die eine Base, von der alle wissen: Die kann man unter jeden Stunt, unter jeden Flyer und mit jedem Back Spot zusammensetzen, und sie kriegt den Stunt irgendwie hoch. Überlege kurz, welche Base das bei euch ist, und dann klone sie 20 mal: Voilà, ein Allstar Team. Jeder einzelne Cheerleader auf dieser Matte ist ein ernsthafter Sportler, und sie trainieren ihre Körper dementsprechend. Das ist die Basis, auf der solche Routines geschrieben werden können; ich sah Techniken, die die meisten Schweizer Teams gar nicht hätten üben können, weil sie nicht genug Kraft haben, um ihre Flyer in diesen Positionen und Grips oben zu halten.
Einflüsse und Zusatzfaktoren
Wir konzentrieren und heute nur auf das Körperliche, aber ich werde sicher später noch einen Post über die mentalen Einflüsse schreiben.
Tumbling, wie ihr vielleicht schon wisst, hat im Allstar Cheer einen höheren Stellenwert. An Meisterschaften werden mehr Punkte dafür vergeben, und wenn man einen Podestplatz möchte, muss man diese Tumblingwertung maximieren. Logischerweise ist darum beim Auswahlprozess der Teams das Tumbling ein Hauptkriterium (an manchen Orten sogar das einzige Kriterium!). Wenn du in ein Level 5 Team möchtest, musst du Level 5 Tumbling zeigen können. Nur so als Referenz, Flickflacks sind schon ab Level 2 erlaubt, wir reden hier also von doppelten Schrauben und solchen Spässchen.
Um das zu erreichen braucht man mehrere Stunden Tumblingtraining pro Woche. Im Vergleich zu einem Groupstunt erfordert Tumbling auf diesem Niveau viel mehr Kraft und Power. Nur, um überhaupt ins Team zu kommen, braucht man schon genug Fitness um regelmässig auf diesem Niveau zu tumbeln.
Sogar im Teamtraining (~zweimal die Woche) nimmt Tumbling einen grossen Teil der Trainingszeit in Anspruch. Das dient aber nur zur Aufrechterhaltung der Skills, zum Aufbau der Ausdauer in Routines und zur Synchronisierung. Neue Skills lernt man ausserhalb des Trainings, in einer Tumblingstunde, Privatlektionen oder selbständig auf einer ungenutzten Matte. Athleten erhalten in Teamtrainings einige kleine Korrekturen, aber niemand steht hin und spottet oder bringt ihnen neue Sachen bei.
Überraschungen
Ehrlich gesagt habe ich erwartet, dass alle Flyer hier winzig sind. Schliesslich war das ein grosser Teil der online-Diskussion in den letzten zwei Jahren. Das stimmt aber tatsächlich nicht wirklich. In den Junior Teams schon, das liegt aber vor allem daran, dass die Altersgruppen anders verteilt sind (etwa 7-14 Jahre). Da macht es natürlich Sinn, jüngere Kinder als Flyer einzusetzen, wenn sie die nötigen Fähigkeiten und die Fitness dazu haben, und die haben sie! Ich habe noch nie so viele Kinder mit Sixpacks gesehen.
In den Senior Teams hingegen habe ich viele Flyer getroffen, die etwa meine Grösse hatten (ca. 1.60). Die meisten Flyer in der Schweiz sind nicht grösser als das, also keine Ausreden mehr! Es sind nicht die winzigen Flyer; es sind die Bases, die stark genug sind.
Erstes Fazit
Natürlich spielen viele verschiedene Faktoren eine Rolle, wenn es um den Erfolg dieser Teams geht, aber ich wollte zuerst das Körperliche anpacken, weil es die Grundlage für alles andere bildet. Um ein guter Cheerleader zu werden, musst du kein Talent im Cheerleading haben: du musst athletisch sein. Denk mal drüber nach. Die Leute, die deinem Verein beigetreten sind und schon kurze Zeit später extrem gut waren, was hatten sie gemeinsam? Hatten sie schon mal Cheerleading gemacht? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich sind sie einfach mit einer athletischen Vergangenheit und einer grundsätzlichen Fitness gekommen, mit der sie arbeiten konnten.
Fitness bringt so viele Vorteile. Deinen Körper zu trainieren gibt dir nicht nur die nötige Kraft für Stunts und Tumbling. Krafttraining stärkt die Verbindung zwischen deinem Hirn und deinem Körper, denn du musst jeden einzelnen Muskel präzise einsetzen können, sowohl in kontrollierten als auch in explosiven Bewegungen. Du lernst, wie sich dein Körper bewegt, was dir gut tut und was nicht, und erkennst dadurch auch Verletzungen schon früh.
Alles in Allem: Körperliche Fitness ist ein Grundpfeiler in unserem Sport, darauf wird der Rest aufgebaut. Wenn du nicht bereit bist, zusätzliches Krafttraining zu leisten, wirst du nie zu den Besten gehören. Das schöne daran: Jeder kann fit werden, dazu braucht man kein Talent, nur den richtigen Einsatz.